Vergessene Riesinnen

Vergessene Riesinnen

Frauen in der Psychoanalyse

 

Frauen in der Frühzeit der Psychoanalyse
Sigmund Freud, der Gründervater der Psychoanalyse war bekanntlich ein Mann. Aber ist seine Lehre deswegen automatisch frauenfeindlich? Und welche Frauen stehen eigentlich am Beginn der modernen Psychoanalyse? In der heutigen Folge möchte ich euch auf vier Frauen neugierig machen, die mit oder nach Sigmund Freud die Psychoanalyse aus der Taufe gehoben haben: Lou André Salome, Anna Freud, Melanie Klein, und Karen Horney.

Sigmund Freuds Name ist eng verbunden mit denen von so großen und einflussreichen Wissenschaftlern, wie Ernest Jones, Sandor Ferenczi und Otto Rank. Vielen Menschen ist jedoch nicht bewusst, dass viele Frauen in Freuds Umkreis forschten, lehrten und analysierten. Alle diese Frauen erweiterten die Psychoanalyse durch ihre eigenen Beiträge oder stellten sie sogar auf den Kopf. Die meisten von ihnen sind uns allerdings heute kaum noch bekannt.

Neben der Frauenfeindlichkeit des damaligen Wissenschaftsbetriebes, von der sich auch der junge Freud zunächst nicht völlig freimachen konnte, war man in der psychoanalytischen Forschungsgemeinde Frauen gegenüber zusätzlich skeptisch. Bekanntlich nimmt die Lehre Freuds ja eine bereits im Kindesalter wirksame und wichtige Sexualität an. Deren Störungen werden als wichtiger Auslöser für spätere psychische Erkrankungen angesehen. Im Wien der ausgehenden 19. Jahrhunderts war es schon schwierig sich als Mann mit etwas so „Schmutzigem“ wie der Sexualität auseinander zu setzen. Für Frauen war es vollkommen unvorstellbar.
Bei einer der ersten Frauen, die dies trotzdem taten, scheint es ein Zufall gewesen zu sein, der sie mit Freud zusammen geführt hat.

Lou Andreas-Salomé
Lou Andreas-Salome war eine bekannte Intellektuelle, Autorin und enge Freundin von Friedrich Nietzsche und Rainer Maria Rilke. 1911 begegnete sie auf einem Kongress Sigmund Freud. Diese Begegnung beflügelte sie und sie begann sich für die neue Wissenschaft und Kulturtheorie der Psychoanalyse zu interessieren. Sie hörte Freuds Vorlesungen und ließ sich von ihm analysieren. Freud riet ihr dringend, den Beruf der Psychoanalytikerin zu ergreifen. Bereits ab 1913 veröffentlichte sie erste Beiträge in der Psychoanalytischen Fachzeitschrift IMAGO und eröffnete 1915 die erste Psychoanalytische Praxis in Göttingen.

In ihren umfangreichen Schriften beschäftigte sie sich, neben anderen Themen mit der psychosexuellen Entwicklung der Frau. Nach Andreas-Salome sind Frauen in ihrer Entwicklung
viel eher als Männer in der Lage das Sinnlich-Sexuelle und das Geistige zu verbinden. Für eine Frau hat jedes erotische Erleben auch eine geistige Dimension.

Erfüllende sexuelle Hingabe ist für Andreas-Salomé immer auch an die Wertschätzung der eigenen Person geknüpft. Das macht sie zu einer Vorreiterin der modernen Emanzipationsbewegung. Obwohl sie Freud gerne und häufig widersprach und ihre eigenen Meinungen durchzusetzen pflegte, bleiben beide lebenslang Freunde.


Anna Freud
Eine weitere wichtige Frau in den Anfangsjahren der Psychoanalyse ist Freunds Tochter Anna.
Sigmund Freuds Tochter trat in die Fußstapfen ihres Vaters und eröffnete 1923 ihre erste eigene Psychoanalytische Praxis. Ihre Ausbildung absolvierte sie bei ihrem Vater, was von feministischer Seite später harsch kritisiert wurde.
Bekannt wurde Anna Freud vor allem als Kommentatorin und Herausgebern der Werke ihres Vaters. Aber auch für ihre Studien zur Ich-Analyse.

Während für Sigmund Freud die Analyse des Unbewussten im Mittelpunkt stand, interessierte sich Anna für das bewusste Ich.
Sie arbeitete von 1915-20 als Grundschullehrerin in Wien, woraus sich ihr Interesse für die Erforschung von psychischen Störungen im Kindesalter erklärt und gilt als eine der wichtigsten Begründerinnen der psychoanalytischen Behandlung von traumatisierten und kriegsgeschädigten Kindern. Sie eröffnete zunächst eine Betreuungsstätte für Kinder in Wien. Nach ihrer Emigration nach London setzte sie ihre Arbeit mit Kindern dort fort. Gemeinsam mit ihrer Lebensgefährtin Dorothy Burlington gründetet sie die „Hamstead Nurserys“, in der vor allem Kriegswaisen aufgenommen und betreut wurden.
In verschiedenen Schriften kritisierte sie später scharf die institutionalisierte Kinderbetreuung, die zwar der körperlichen Entwicklung Aufmerksamkeit schenkten, aber die psychische Entwicklung vernachlässigten. Nicht zuletzt ihre Studien, die auf der direkten Beobachtungen des Verhaltens von Kindern basierten, gaben den Ausschlag für wichtige Reformen auf diesem Gebiet. Nach dem Tod ihres Vaters übernahm sie ab 1939 eine wichtige Rolle in der Psychoanalytischen Forschungsgemeinschaft und machte die Psychoanalyse ihres Vaters weithin bekannt.

Melanie Klein
In ihrer Rolle als Verwalterin des Erbes ihres Vaters war Anna Freud nicht unumstritten. Ihre schärfste Kritikerin und in gewissem Sinne auch Konkurrentin war die 13 Jahre ältere Melanie Klein. Der Streit über die richtige Interpretation der Werke Freuds und über die theoretischen Grundlagen der Kinderanalyse führte zur Entstehung von drei Ausrichtungen der Psychoanalyse: den Freudianern, den Kleinianern und den Unabhängigen. Diese Spaltung wirkt zum Teil bis heute fort.

Wer aber war Melanie Klein?
Melanie Klein wollte ursprünglich Medizin studieren, heiratete jedoch und bekam drei Kinder. Sie litt während und nach ihren drei Schwangerschaften unter depressiven Verstimmungen, weswegen sie Hilfe bei dem Psychoanalytiker Sandor Fernczi suchte. Sie war begeistert und beschloss sich ebenfalls zur Psychoanalytikern auszubilden. Es war auch Ferenczi, bei dem sie ihre Lehranalyse begann und später bei dem Neurologen und Psychonanalytiker Karl Abraham in Berlin beendete.
Sie trennte sich von ihrem Ehemann und ging 1926 – 12 Jahre vor Anna und Sigmund Freud – nach London, wo sie den Rest ihres Lebens verbrachte und arbeitete.
Ähnlich wie Anna Freud interessierte sich auch Melanie Klein für Kinderpsychologie. Nachdem sie erste Erfahrungen mit der Analyse ihres eigenen Sohnes gesammelt hatte, entwickelte sie eine eigene Form der Kinderanalyse. Die bedeutende Neuerung an Kleins Ansatz bestand darin, dass sie eigene Spieltechniken entwickelte. Damit wurde es möglich auch zu den Ängsten von sehr kleinen Kindern einen Zugang zu bekommen.
Klein stellte sich damit mutig gegen die vorherrschende Meinung, dass Kinder im Grunde nicht analysiert werden können, da ihre sprachlichen Ausdrucksformen z.B. für die Methode der freien Assoziation noch nicht weit genug entwickelt waren.
Melanie Klein richtete für ihre kleinen Patienten ein spezielles Spielzimmer ein: darin konnte z.B auch gezeichnet werden. Sie beobachtete teilnehmend das Spiel der Kinder und die Ergebnisse ihrer künstlerischen Bemühungen. Sie erkannte, dass durch Übertragungsphänomene auf die Kinderanalytikerin ein Zugang zu den unbewussten Wünschen des Kindes gelingen kann. Als besonders wichtig erkannte Klein die Mutter-Kind-Interaktion, die den späteren Menschen nachhaltig prägt und verantwortlich dafür ist, wie wir als Erwachsene die Welt wahrnehmen.

Karen Horney
Auch Karen Horney kam über Karl Abraham zur Psychoanalyse, nachdem sie als eine der ersten Frauen in Deutschland Medizin studiert hatte. Sie eröffnete eine eigene psychoanalytische Praxis in Berlin und bildete als Lehranalytikerin neue Psychoanalytikerinnen aus.
1932 ging sie auf Einladung von Franz Alexander, dem Begründer der Psychosomatik, nach Chicago, und lebte für den Rest ihres Lebens in den Vereinigten Staaten.
Während sich die Werke von Lou Andreas-Salomé, Anna Freud und Melanie Klein nicht in direkte Opposition zur Psychoanalyse stellten, durchleuchtet Horney diese kritisch und formuliert im Laufe ihrer Arbeit die Neopsychoanalyse.
Diese ist eine Form der Psychoanalyse, in die vor allem die Erkenntnisse der Soziologie einfließen. Horney beschäftigt sich nicht nur mit dem isolierten Einzelpatienten. Sie versteht den Menschen vielmehr als ein Gesellschaftswesen, das auf andere Menschen reagiert.

Prägend für den Erkrankten ist die so genannte Grundangst. Sie ist eine existenzielle Angst zu deren Überwindung, es vier Möglichkeiten gibt: Liebe, Abhängigkeit, Macht und Distanzierung.
Insbesondre Karen Horneys Analyse der Macht ist faszinierend, gerade weil auch in unserer Zeit wieder einmal Ideologien akzeptiert werden, die ihrem Inhalt nach widersprüchlich sind: die allgegenwärtige Suche nach Verschwörungen, geheimen Mächten und finsteren Bedrohungen resultiert nach Horney also allein aus der erwähnten allzu menschlichen Grundangst.

Kommen wir zum Schluss.
Wir sehen heute, im Jahre 2020 weiter als Freud und seine Zeitgenossinnen. Die Psychoanalyse und die ihr nachfolgenden Schulen haben sich weiterentwickelt. Aber wir sollten nicht vergessen, dass wir dabei Zwerge sind, die auf den Schultern eines Riesen und, wie wir gerade gehört haben, einiger Riesinnen sitzen. Zu diesen gehören die erwähnten vier Frauen in ihren unterschiedlichen Stärken und Impulsen, die sie der Welt der Psychoanalyse gegeben haben. Ihnen und vielen weiteren Frauen gebührt unsere Hochachtung, die wir ihnen am besten zollen, wenn wir uns wieder ausführlicher mit ihren Werken beschäftigen.


Empfohlene Literatur zum Thema:

* Freud, Anna: Das Ich und die Abwehrmechanismen. Frankfurt a.M. 2019
* Freud, Anna: Einführung in die Technik der Kinderanalyse. 1927
* Freud, Anna: Einführung in die Psychoanalyse für Pädagogen. 1930

* Schmitt, Eric Emmanuel: Der Besucher (Theaterstück über Anna und Sigmund Freud)
* Andreas-Salome, Lou: In der Schule bei Freud – Tagebuch eines Jahres – 1912/1913. 2017
* Sigmund Freud – Lou Andreas-Salomé: Briefwechsel. 1966
* „Als käm ich heim zu Vater und Schwester“ Lou Andreas-Salomé – Anna Freud: Briefwechsel. Göttingen 2001

* Klein, Melanie: Die Psychoanalyse des Kindes.München 1973.
* Klein, Melanie: Der Fall Richard. Das vollständige Protokoll einer Kinderanalyse, durchgeführt von Melanie Klein. München 1975
* Klein, Melanie: Das Seelenleben des Kleinkindes und andere Beiträge zur Psychoanalyse. Stuttgart 2001

* Horney, Karen: Der neurotische Mensch unserer Zeit. New York 1937
* Horney, Karen: Neurose und menschliches Wachstum. München 1975
* Horney, Karen: Psychologie der Frau. München 1977

 

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