Behaviorismus

Behaviorismus

oder sollen wir mit den Hunden in die Wälder gehen?

Was ist der Mensch? Ein spirituell – geistiges Wesen oder bloß eine programmierbare Maschine. Ein Mechanismus über dessen innere Funktionsweisen wir im Grunde genommen gar nichts aussagen können? Oder schließen sich das eine und das andere gar nicht aus? Und wo wir schon dabei sind, wie sieht es eigentlich mit der Zukunft des Menschen aus?

Konditionierung

Ganz zu Anfang kam mal wieder ein Mensch auf den Hund, den Pawlowschen Hund.
Der russische Psychologe Iwan Petrowitsch Pawlow unternahm zu Beginn des letzten Jahrhunderts ein Experiment, das die Grundlage für ein völlig neues Verständnis des Lernens legte. Pawlow war aufgefallen, dass manche Hunde, die, wie damals üblich in Zwingern gehalten wurden, eine seltsame Angewohnheit hatten: Wenn der Hund die Schritte seines Besitzers hörte, von dem er regelmäßig gefüttert wurde, so begann er zu sabbern. Der Hund wusste offenbar, dass er nun gefüttert werden würde. Seine Speicheldrüsen bereiteten sich vor, in dem sie genügend Speichel zu Verfügung stellten. Auf den ersten Blick ein simpler Zusammenhang. Nun ist das Wort „Wissen“ in diesem Zusammenhang auf den zweiten Blick allerdings problematisch: Was heißt es wenn wir sagen, ein Hund weiß etwas? Können wir wirklich davon ausgehen, dass der Hund einen Verstand hat und weiss, dass er also eine Vorstellung über die Zukunft hat, die sich aus vergangenen Erfahrungen ergibt? Tatsächlich braucht hierzu ja schon eine gewisse Abstraktionsfähigkeit, die wir den Tiere meistens absprechen. Wir sprechen heute Tieren zwar Empathiefähigkeit und manchen sogar eine gewisse emotionale Intelligenz zu, aber auch nach modernen Erkenntnissen verfügen Tiere über kein Zukunftsbewusstsein.

Um die Jahrhundertwende ging man jedenfalls davon aus, dass Tiere über wenig oder gar kein Bewusstsein verfügen. Wie kommt es aber dann zum Phänomen des Speichelflusses? Pawlow suchte nach einer Erklärung, und ging davon aus, dass das neutrale Geräusch der Schritte im Hund irgendwie mit dem Fressen in Verbindung gebracht worden war. Diese Verbindung kann jedoch weniger auf der psychischen Ebene stattfinden, sondern man muss sie sich eher körperlich vorstellen, denn eine Psyche besitzt der Hund ja nicht.

Pawlow dachte sich nun das folgende Experiment aus: Wenn auf das Anbieten von Futter der Speichelfluss folgt, er nannte dieses eine unbedingte Reaktion, so könnte man nun das Darbieten des Futters mit einem neutralen Reiz verbinden, also zum Beispiel mit einem Geräusch, das für den Hund nichts mit dem Futter zu tun hat, ganz im Gegensatz zu den Schritten des Besitzers. Pawlow wählte als einen solchen neutralen Reiz eine Glocke. Von nun an läutete er die Glocke immer kurz bevor das Futter dem Hund angeboten wurde. Nach einer Weile setzte beim Hund auch dann der Speichelfluss ein, wenn nur die Glocke geläutet wurde, also auch ohne Schritte zu hören waren oder dem Hund Futter angeboten wurde. Entscheidend für das Verständnis dieses Phänomens ist, dass sich der Hund nicht dazu entscheidet, zu sabbern, dafür müsste er, wie gesagt, ja denken können. Geht man also davon aus, dass der Hund so etwas wie eine sehr komplizierte Maschine ist, könnte man in modernen Worten sagen, dass Pawlow diesen Hundekörper umprogrammiert hatte. Pawlow, der zu einer Zeit lebte, als es noch keine Computer gab, nannte das von ihm entdeckte Phänomen „Konditionierung“. Seine Nachfolger, die seine Studien weiter verfolgten nannten verwendeten später die Bezeichnung „Klassische Konditionierung“.

Für uns Bewohner einer naturwissenschaftlich geprägten Welt ist es heute schwer nachzuvollziehen, was für eine Sensation Pawlows Erkenntnisse darstellten, für die er schließlich sogar mit dem Nobelpreis der Medizin belohnt wurde: Durch Pawlow wurde die Psychologie von einer Geisteswissenschaft zu einer Naturwissenschaft, denn von nun an war es möglich durch Experimente an Tieren und später auch an Menschen messbare Erkenntnisse zu gewinnen, ein Weg, der den Geisteswissenschaften nicht zur verfügung steht.

Instrumentelle und Operante Konditionierung

Der wichtigste Nachfolger Pawlows war der Amerikaner Lee Thorndike. Er erfand die so genannte „Puzzle Box“. Ein solche „Rätselbox“ ist ein Käfig, der sich durch einen relativ einfachen Mechanismus öffnen lässt: Ein in die Box gesperrtes Versuchstier muss beispielsweise an einer Schnur ziehen, dann öffnet sich eine Klappe. Vor diese Box wird nun geeignetes Futter als Belohnung gelegt. Das idealerweise hungrige Tiere muss nun das Rätsel lösen, um an das Futter zu kommen. Dieses geschieht beim ersten Mal natürlich aus Zufall: Ein eingesperrtes Huhn pickt zunächst nach allem, was es für essbar hält und ergreift irgendwann aus Zufall auch die Schnur mit dem Schnabel und zieht daran. Den Mechanismus selbst kann man natürlich vielfältig variieren, so dass das Huhn beispielsweise von einer bestimmten Stelle der Rätselbox aus an der Schnur ziehen muss, oder zunächst ein Hebel umgelegt werden muss o.ä.
Im nächsten Schritt wird die Versuchsanordnung wiederholt und man misst die Zeit, die das Huhn beim zweiten Mal für die Aufgabe benötigt. Je nach verwendetem Versuchstier kann man die gemessenen Werte nun in Lernkurven erfassen und auswerten. Abstrakt formuliert spricht man nun nicht mehr von einer klassischen, sondern einer instrumentellen Konditionierung: Das Verhalten, also die Lösungsstrategie um die Tür der Rätselbox zu öffnen, ist das Instrument um an ein bestimmtes Ziel zu gelangen, nämlich an das Futter. Je nachdem wie gut das Tiere das Instrument internalisiert hat, also wie nachdrücklich es dem Tier einprogrammiert wurde, wird es dieses Verhalten in Zukunft immer wieder einsetzen können.

Eine nächste Erweiterung der instrumentellen Konditionierung bildete die „operante Konditionierung“, ein Begriff der bereits eng mit dem Behaviorismus verknüpft ist.

Die operante Konditionierung arbeitet nicht nur mit Belohnungen, sondern auch mit Bestrafungen, die zudem kontingent, also nach festen Regeln vergeben werden müssen. Die Begriffe Belohnung und Bestrafung bedeuten hier, dass die angenehme Konsequenz nach dem Einsatz des Instrumentes, tatsächlich erteilt wird, oder eben nicht stattfindet. Findet die Belohnung statt, im obigen Beispiel wäre dies das bereitliegende Hühnerfutter, so spricht man von einer positiven Verstärkung, liegt das Futter nicht bereit wäre dieses eine Entzugsbestrafung, auch negative Bestrafung genannt.

Gehen wir einen Schritt weiter: Unsere Versuchshühner hatten es bisher nur mit positiven Konsequenzen zu tun, positiv in dem Sinne, das etwas gegeben wurde oder eben nicht. Nehmen wir nun einmal an, dass nach dem Ziehen an der Schnur in der Rätselbox, sich keine Tür öffnet, sondern ein lautes Geräusch ertönt, das das Huhn erschreckt. Das Huhn würde also nicht belohnt, sondern bestraft werden, wenn es an der Schnur zieht. Eine solche Bestrafung nennt man dann eine Präsentationsbestrafung, auch positive Bestrafung genannt. Eine negative Verstärkung wiederum läge dann vor, wenn der negative Reit, der zu erwarten wäre, also das Auslösen des lauten Geräusches nicht eintritt, obwohl das Huhn an der Schnur zieht.
Mit Hilfe der positiven und der negativen Verstärkung können erwünschte Verhaltensweisen wesentlich differenzierter konditioniert werden. Zu beachten sind jedoch zwei Dinge: Die Verstärkung muss kontingent sein, sie muss also mit einer gewissen Regelhaftigkeit tatsächlich erfolgen und die Verstärkung muss zeitlich gesehen nahe am erwünschten Verhalten erfolgen. Viele Menschen kennen das Phänomen aus der Hundeerziehung und handeln instinktiv richtig: Wenn ich einen Hund für sein Pfötchen-geben belohnen will, muss ich es direkt tun, belohne ich ihn erst abends für das vielfältige richtige Verhalten während des nachmittäglichen Spaziergangs, bleibt die Verstärkung wirkungslos oder bloß zufällig.
Wenn ein Instrument, das also jedes x-beliebige gelernte oder erworbene Verhalten sein kann, weder negativ, noch positiv verstärkt wird, wird es auf die Dauer wieder gelöscht. Soviel erst einmal zu den Tieren.

… und Menschen?

Wie ihr Euch denken könnt, dauerte es nicht lange bis man versuchte diese neuen experimentellen Erkenntnisse über das Erlernen und Verstärken von Verhaltensweisen auch auf den Menschen zu übertragen. Auch wenn man damals weniger zimperlich war, sah man psychologische Experimente an oder mit Menschen doch als heikel an. Andererseits war die Versuchung sehr groß, denn nicht zuletzt berühren die Fragen der Verhaltenspsychologen eines der ältesten Problem der Philosophie und auch der Theologie: Die Frage nach der Freiheit des Willens. Warum?

Solange wir uns bei der Konditionierung auf Tiere beschränken, bewegen wir uns auf sicherem Terrain. Von Alters her galten Tiere den Philosophen als zwar lebendige, aber doch nur sehr komplizierte Maschinen aus Fleisch und Blut, die über kein Selbstbewusstsein verfügen und deswegen auch wie Gegenstände behandelt werden dürfen. Das bedeutet nicht unbedingt, dass man sich ihnen gegenüber grausam verhalten sollte und durfte, aber tat man es doch, bewegte man sich auf dem Gebiet der Sachbeschädigung.
Bauern und andere Menschen, die sich in ihrem Alltag intensiv mit Tieren beschäftigten, wussten damals wie heute freilich, das besonders höhere Säugetiere, aber auch Vögel durchaus lernfähig sind. Letzten Endes, und darin war man sich einig, mangelte es den Tieren in theologischer Hinsicht jedoch bei aller möglichen Lernfähigkeit am Wichtigsten, das nur den Menschen auszeichnet, dem Besitz einer Seele und damit der Fähigkeit zwischen Gut und Böse zu entscheiden, also die Willensfreiheit.

Behaviorismus

Nicht zuletzt aus diesen Überlegungen heraus, entstand in der Folge die Schule des Behaviorismus, die maßgeblich von dem im Vorspann erwähnten Psychologen B.F. Skinner geprägt wurde. Der Behaviorismus löst das Problem der Willensfreiheit vereinfacht gesagt dadurch, dass er sie nicht nur leugnet, sondern die menschliche Seele insgesamt als eine Art BlackBox versteht, also eine Kiste, in die man nicht hineinsehen kann. Als strenge Naturwissenschaftler sind die Vorgänge der Seele für den Behavioristen nicht beobachtbar, also sind alle Aussagen, die man über sie treffen kann, sinnlos. Was man jedoch beobachten kann sind Reaktionen auf Reize, die man dem Menschen anbieten kann. Solche Reize können alles mögliche sein, ein emotionaler Stimulus, wie das Bild der geliebten Frau, eine Ohrfeige, ein Stück Kuchen etc. Die zu beobachtbaren Reaktionen dieser BlackBox sind ebenso vielfältig: Ein Erröten der Wangen, ein Schlag ins Gesicht des Experimentators oder ein verstärkter Speichelfluss. Ich kann nun diese Reaktionen messen, aufzeichnen und gewisse Bezüge zwischen Reiz und Reaktion herstellen und sie, wie bei den oben erwähnten Hühnern in Kurven oder Diagrammen festhalten, aus denen heraus ich Rückschlüsse z.B. über zukünftiges Verhalten des Probanden ziehen kann. Objektivierbare Aussagen jedoch darüber, was in der Psyche des Testobjektes passiert, während er das Bild der Gattin betrachtet, kann ich nicht machen und brauche es auch gar nicht zu tun. Ich habe ja die Reaktionen und kann nun durch Kontrolle der Reize und en Einsatz von den oben genannten Verstärkern die Reaktionen, also das Verhalten des Probanden nach meinen Wünschen beeinflussen.

Vor allem die Erziehung junger Menschen wird dadurch zu einer theoretisch gut kontrollierbaren erweiterten Rätselbox. So wie wir das Huhn durch instrumentelle Konditionierung zu einem bestimmten Verhalten zwingen können, können wir durch eine absolute Kontrolle der Lernumgebung von Kindern im Zusammenhang mit den Techniken der operanten Konditionierung auch beim Menschen ein erwünschtes Verhalten erzeugen: Erziehung wird also zu einer wissenschaftlich fundierten und kontrollierten Konditionierung.

Nun klingt eine solche Umdeutung oder sollte man sagen Umwertung des eben noch freien und beseelten Menschen hin zu einer programmierbare Machine absurd und die meisten Menschen lehnten und lehnen sie beinahe instinktiv. Nicht zuletzt auch deswegen, weil wir auch um unsere Würde fürchten müssen: Wenn wir nichts anderes als nur beliebig programmierbare Automaten sind, so sind wir auch austauschbar und unsere Individualität, auf die wir uns doch so viel einbilden, wäre ein bloßer Zufall.
Andererseits müssen wir nach zögerlichem Nachdenken zugeben, das zumindest bei der Erziehung unserer Kinder die operante Konditionierung seit jeher her zum Einsatz gekommen ist, wenn auch nicht unter diesem Namen.

Erinnern wir uns: Konditionierung bedeutet, dass das Auftreten einer bestimmten Situation begünstigt wird und wir haben gesehen, dass diese Situation durchaus auch ein komplexes Verhaltensmuster sein kann. Nehmen wir an, wir wollen ein Kind dazu erziehen, Erwachsene immer zur Begrüßung in die Augen zu sehen, die Hand zu reichen und den eigenen Namen zu nennen, dann kann ein Bonbon als positiver Verstärker ein sehr geeignetes Mittel sein um das Auftreten dieses Verhaltens zu begünstigen. Eine positive Bestrafung kann im Gegenzug darin bestehen, nach einem Fehlverhalten das Bonbon eben nicht zu geben. Hierbei muss, wie bemerkt, beachtet werden, dass die Belohnung in zeitlicher und situativer Nähe erfolgt, also unmittelbar nach der Begrüßung, da sonst die Gefahr besteht, dass das Verhalten wieder gelöscht wird.
Des weiteren muss der Bonbon ein Bedürfnis stillen, also den aktuellen Appetit auf etwas Süßes befriedigen. Hier wird die Sache etwas schwieriger, den letzen Endes bestimmt doch das Kind über den Verstärker mit: Mag es zum Beispiel keine Bonbons, weil es salzige Snacks bevorzugt, wirkt unser Verstärker nicht, oder nicht im erwünschten Maße. Hat das Kind in der Vergangenheit möglicherweise einmal ein Bonbon verschluckt und wäre beinahe daran erstickt, kann der Bonbon sogar als eine positive Bestrafung wirken und sich als kontraproduktiv erweisen. Neben Bonbons gehören zu den positiven Verstärkern in der Erziehung von Kindern jedoch vor allem Körperkontakte, auf die kleine Menschen angewiesen sind: Ein Kuss und eine Umarmung durch nahe stehende Bezugspersonen sind meist positive Verstärkung genug und auch besser für die Zähne.

Doch wir nutzen Verstärker nicht nur um bei Kindern ein erwünschtes Verhalten zu erzielen. Durch so genannte soziale Verstärker kann auch das Verhalten von Erwachsenen positiv und möglicherweise nachhaltig beeinflusst werden: Man hat zum Beispiel festgestellt, dass das beste Mittel um Geschwindigkeitsübertretungen im Straßenverkehr zu beeinflussen darin besteht, eine Ampel aufzustellen, die als programmierte Reaktion auf die Geschwindigkeit der vorbeifahrenden Fahrzeuges ein lächelndes rotes oder ein trauriges grünes Gesicht zeigen. Da wir als soziale Wesen auf die Zuneigung anderer Wesen als positive Verstärker für unser Verhalten angewiesen sind, oder, hier kann man sich streiten, diese Zuneigung als wichtig gelernt haben, reagieren wir besonders gut auf Gesichtsausdrücke.
Ein schon erwähntes Grundproblem beim Einsatz der Konditionierung in der Erziehung bleibt jedoch bestehen: Wir kontrollieren die Lernumgebung des Kindes nicht vollständig und wir kennen deswegen nicht bei jedem Kind die Bedürfnisse so genau, die uns die richtigen Verstärker einsetzen lassen.

Eine bessere Welt durch Wissenschaft?

Der Psychologe Skinner schlägt in seinem Buch Futurum 2 vor,
diesen Missstand dadurch zu beheben, dass wir Menschen unseren ungesunden gesellschaftlichen Verhältnisse entfliehen sollten um wieder in die Wälder ziehen.
Man muss hier anmerken, dass der Buchtitel im englischen Original wiederum auf ein anderes sehr bekanntes Werk des Philosophen Thoreau verweist, der darin beschreibt, wie er die Gesellschaft verlässt und fortan allein in einer Hütte im Wald lebt, um dort das Leben in seiner ganzen Fülle zu erfassen, wie es dort heißt. Auch Skinner schwebte in seinem Futurum 2 ein Leben in den Wäldern vor, aber nicht vereinzelt, wie Thoreau, sondern als Teil einer Gemeinschaft, die einzig und allein auf den Erkenntnissen des Behaviorismus basiert. So sollen Kinder dort gemeinschaftlich unter vollkommen kontrollierten Bedingungen erzogen werden. Als Ergebnis würden sie zu glücklichen und altruistischen Individuen konditioniert, die stets das anstreben, was für die Gemeinschaft am zweckdienlichsten ist. Die durch die gesamte Kulturgeschichte herrschende Kluft zwischen Individuum und Gemeinschaft würde auf diese Weise aufgelöst und die Menschheit könnte sich von nun an auf das Wichtigste im Leben konzentrieren, auf Kreativität und ein glückliches Leben im Hier-und-Jetzt. Das Buch ist zweifelsohne lesenswert und je nach der Lebensphase des Lesers oder der Leserin nimmt man die dort geschilderten Ideen meiner Erfahrung nach deutlich unterschiedlich war:

Bei meiner ersten Lektüre mit knapp 17 Jahren, war ich entsetzt, ein vorprogrammiertes Leben schien nicht erstrebenswert, wo bliebe meine Individualität, die ich mir gerade hart erkämpft hatte? Futurum 2 kam mir wie der sprichwörtliche Ameisenstaat vor. Mit nunmehr über 50 komme ich manchmal doch ins Grübeln. Tatsächlich ist es ja nicht so, dass wir uns in unserem Alltagsleben wirklich von Manipulationen und Konditionierungen frei machen können. Unsere Bedürfnisse und unser Kaufverhalten werden beeinflusst und zu einem Gutteil werden auch unsere Meinungen durch die spezielle Auswahl an Bildern, die uns präsentiert wird, durchaus gemacht. Und wäre es dann nicht besser, wenn die Verhaltensmanipulationen von den Interessen des Gemeinwohls geleitet werden würden, als von den monetären Interessen einiger Großkonzerne.

Die Auseinandersetzung mit dem klassischen Behaviorismus zwingt uns also auch unangenehme Fragen nach unserer eigenen Willensfreiheit zu stellen und allein schon dadurch lohnt die Lektüre von Futurum 2, auch wenn das Buch auf diese Fragen keine eindeutigen Antworten liefern kann und vermutlich auch nicht will.

Kommen wir am Schluss noch einmal auf die weitere Geschichte des Behaviorismus zurück. Im Laufe der Zeit verwarf sogar der radikale Behaviorist Skinner das Bild von der absolut uneinsehbaren BlackBox und der Fortschritt der bildgebenden Verfahren in der Medizin und Neurowissenschaft läßt schließlich doch einen wenn auch sehr indirekten und interpretationswürdigen Blick in die Abläufe unserer Seele zu. Wichtiger jedoch noch war die Erkenntnis, dass die Kognitionen des Menschen bei allen Möglichkeiten der Verhaltensbeeinflussung nicht völlig außer Acht gelassen werden können. Der Mensch kann eben nicht nur die Dinge um ihn herum reflektieren, sondern auch die Reflexionen selbst einer kritischen Prüfung unterziehen, und damit auch die Bedingungen und Wirkweisen seiner eigenen Konditionierungen, ob diese nun operant in seiner Erziehung geschehen sind oder auf die klassische und nicht zuletzt zufällige Weise, wie bei Pawlows bestem Freund.

In der Nachfolge des Behaviorismus entstanden so abweichende Schulen innerhalb der Verhaltenspsychologie, die schließlich in die modernen Formen der kognitiven Verhaltenstherapie mündeten, die bis heute in der Psychotherapie sehr erfolgreich angewendet werden. Für die Heilpraktiker Psychotherapie unter meinen Hörerinnen und Hörern ist das Wissen über die kognitive Verhaltenstherapie übrigens für die schriftliche, wie für die mündliche Prüfung sehr relevant. Also: Setzt Euch hin, nehmt Euer Lehrbuch heraus und lernt. Und nach getaner Arbeit belohnt Ihr Eurer richtiges Verhalten mit einem Stück Schokolade oder ein paar Erdnüssen, ganz wie ihr mögt. Oder hat Euch diese Entscheidung, was ihr mögt oder nicht, in der Vergangenheit bereits jemand anderes abgenommen?

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